Sie war mit dem Zug aus München angereist und war sich bewusst, den westlichsten Punkt des ehemaligen Königreichs Bayern erreicht zu haben: „Ihre schöne Stadt möchte ich unbedingt kennenlernen“, erklärte Andrea Heuser im Bahnhof. Dazu war vor ihrer Lesung vor dem St. Ingberter Literaturforum (ILF) und am folgenden Tag noch reichlich Gelegenheit.
In der Stadtbücherei dankte sie ILF-Sprecher Jürgen Bost für seine „ebenso präzise wie feinsinnige Einführung“, und dann präsentierte sie souverän ihren Roman „Wenn wir heimkehren“. Andrea Heusers knapp 600-seitiges Epos gilt unter den vielen Familien- und Generationenromanen als Glücksfall und trägt die Sehnsucht nach Geborgenheit und Verwurzelung schon im Titel.
Denn wenn die Autorin hier von ihren Großeltern väterlicherseits erzählt, vor allem von Margot, die in großbürgerlichen Verhältnissen in Echternach aufwuchs, in jungen Jahren von einem verheirateten deutschen Besatzungsoffizier geschwängert und von den Eltern mit einem ungeliebten Nazi zwangsverheiratet wird, verfällt man schnell dem Bann diese Textes. Es wird rasant und dialogreich mit viel Zeitgeschichte und Lokalkolorit, Milieukontrasten und gekonnt nachempfundenen Gefühllagen erzählt. Geschickt ausgewählte Passagen, in denen oft düstere Töne vorherrschten, trug die Autorin mit hoher Sprechkunst vor. „So viel Konzentration und Durchhaltevermögen“, staunte eine Zuhörerin, „das ist wie ein perfekt eingesprochenes Hörbuch.“ Optimistischere Klänge bot hingegen der weitere Erzählverlauf, denn Heusers Protagonistin findet einen Neuanfang dank der Liebe zu dem Handwerker Willi, die lebenslang hält und alle Hindernisse und Umwege übersteht.
Angeregt durch Leerstellen und Fragezeichen in der Familienchronik stieß die Autorin auf eine Fülle von Irrungen und Wirrungen, Verstrickungen und Traumata, die sie mit viel Empathie für ihr Personal bewältigt. Verfilmungsträchtig setzt sie ihre mehrere Jahrzehnte und vier Generationen umfassende Romanwelt in Szene, und das in einer sympathisch unkomplizierten Sprache, die trotz aller dramatisch-realistischen Akzente eine leichtgewichtige Lektüre erlaubt. „Sie erleben hier die Buddenbrooks des 21. Jahrhunderts“, so Bost zu dem wie gebannt lauschenden Publikum.
Im Nachgespräch interessierten sich die Fragesteller speziell für ihre Arbeit als Verfasserin mehrerer Opernlibretti. Vor allem aber wollten sie wissen, wie man so detailgetreu über Vergangenes und zum Teil auch selbst Erlebtes schreiben könne. Das mache die Kombination aus Recherche und Erinnerung, gepaart mit Einfühlung und Empathie, so Heuser. Das nächste Mal, wenn sie auf Einladung des ILF und der Stadtbücherei wiederkommen könne, hätte sie etwas ganz anderes im Gepäck: Einen Roman, der in den Vereinigten Staaten spielen wird.
2021 sei ein sehr schwieriges Jahr für die Kultur und insbesondere auch die Organisation von Autorenbegegnungen gewesen, resümierte Bost. Umso dankbarer müsse man der Abteilung Kultur im Rathaus und dem Team der Stadtbücherei dafür sein, dass zum 40. Geburtstag des Literaturforums mit Andrea Heuser und Carsten Henn zwei deutschlandweit bekannte Autoren eingeladen werden konnten und darüber hinaus weitere Lesungen mit eher regionalem Schwerpunkt ermöglicht wurden.
Die nächsten Veranstaltungen mit dem Liedermacher Hans Bollinger („Auf vielen Straßen dieser Welt“) und dem Krimiautor Klaus Brabänder („Bienenstich“) sollen das St. Ingberter Lesungsjahr beschließen und sind bereits fest eingeplant.