Bis auf den letzten Platz besetzt waren die Reihen in der Stadtbücherei, als Dagmar Leupold ihren aktuellen Roman „Die Witwen“ vorstellte. Die Autorin war zu dieser Veranstaltung des St. Ingberter Literaturforums (ILF) eigens aus München angereist und zeigte sich überrascht, dass sie sich nach viereinhalb Stunden Zugfahrt immer noch auf „bayrischem“ Boden befand. Schließlich erinnern viele Veranstaltungen bei uns derzeit an die Epoche der bayrischen Saarpfalz von 1816 bis 1919.
ILF-Sprecher Jürgen Bost führte das Auditorium zunächst in Leben und Werk des prominenten Gastes ein. Sodann bot Dagmar Leupold mehrere Leseproben aus ihrem Abenteuer- und Reiseroman. Es war nicht verwunderlich, dass überwiegend weibliche Zuhörer zum Auftritt dieser interessanten Gegenwartsautorin erschienen waren, befasst sich doch der Titel mit den Erinnerungswelten von Frauen, die auf sehr unterschiedliche Weise eine Mentalitätsgeschichte der jungen Bundesrepublik lebendig werden lassen.
Zudem berührt die Reise, die die Protagonistinnen in einem Wagen mit Chauffeur entlang des Laufs der Mosel unternehmen, auch unseren geografischen Raum: Bewegte Lebensläufe werden durch die Bewegung im Raum aus dem Stillstand ihrer Alltagsexistenz herausgehoben. So entsteht ein faszinierendes Mosaik weiblicher Lebensentwürfe, entwickelt sich eine Typologie des Singledaseins in den mittleren Jahren mit all seinen Träumen und Traumata.
Es gelingt Dagmar Leupold, in ihren treffsicheren Alltagsschilderungen und pointierten biografischen Gefühls- und Gedankenwelten viel Tröstliches zu vermitteln und immer wieder der Hoffnung Raum zu bieten. Aus dem Publikum wurden noch zahlreiche Fragen an den Gast gerichtet. Sie bezogen sich überwiegend auf die Architektur des Romans, verdeckte literarische Anspielungen, die Vorgehensweise der Schriftstellerin und den Wirklichkeitsbezug bei der Figurenfindung. Besondere Anerkennung fanden die Vergleiche und die poetischen, feinsinnigen Formulierungen. Nicht grundlos war die in München lebende Dagmar Leupold – im Hauptberuf Dozentin für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Tübingen – zweimal für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Zum Abschluss der gelungenen Veranstaltung dankte Jürgen Bost dem Gast, der sich sehr angetan über die Atmosphäre und das hohe Interesse seitens der Besucher zeigte, und kündigte als nächste Veranstaltung des ILF für Mittwoch, den 23. November 2016, eine multimediale Veranstaltung zur lothringischen Mundartliteratur der Gegenwart an. Auch an diesem Abend geht es um eine (fiktive) Reise, und zwar „Von Bitche nach Thionville“.